Betreuung und Bejagung einer Gamswildpopulation im Achental – Erfolge der letzten 45 Jahre
Vortrag von Pepi Stock, Wildmeister/FUST-Tirol
auf dem Symposium des Bayerischen Jagdverbandes: „Die Zukunft des Gamswildes in den Alpen“
am 3. Juli 2015 in Lenggries/Obb.
Ausgangslage
Auch die arteigene soziale Organisation unter den Böcken und in den Rudeln von weiblichen und jungen Tieren war durch das einseitige Geschlechterverhältnis, den Mangel an reifen Böcken und den Überhang an Jungwild in den sehr großen Rudeln gestört.
Die Folgen dieser Bejagung zeigten sich aus soziobiologischer Sicht in einem nicht nachhaltigen, unpassenden Altersklassenaufbau, in einem unnatürlichen Geschlechterverhältnis und in einem gestörten, nicht artgerechten Sozialverhalten mit hohen Energieverlusten unter den Böcken. Aus wildökologischer Sicht war die Situation gekennzeichnet durch überhöhte Gamsbestände in übergroßen Rudeln, die sich schlecht verteilten. Das führte zu geschwächter Kondition, erhöhter Seuchenanfälligkeit und hohen Fallwildraten, insgesamt zu instabilen, stark schwankenden Beständen. Es wurde erkannt, dass eine vorausschauende art- und umweltgerechte Bejagung des Gamswildes besonders wichtig ist.
Gamswild im FUST-Projekt
Die Familie Underberg, die damals Reviere im Achental gepachtet hatte, entschloss sich, mittels wissenschaftlicher Begleitung mehr über das Populationsgeschehen des Gamswildes zu erfahren. Das FUST-Projekt Achenkirch wurde gegründet. Als Leiter wurde der weltweit anerkannte tschechische Wildbiologe Dr. Antony B. Bubenik engagiert.
Als erste Maßnahme wurde eine Zählung der Gamsbestände im Karwendel durchgeführt, um einen Ist-Zustand zu ermitteln. Ohne genaue Planungsgrundlage kann keine zielführende Abschussplanung durchgeführt werden. Es zeigte sich, dass die Altersstruktur und das Geschlechterverhältnis gestört waren, auch der Konditionszustand der Bestände war nicht zufriedenstellend.
Weiter wurden Untersuchungen an Ovarien und Hoden der Gämsen durchgeführt, um die soziale Reife bzw. die Seniorenabgrenzung zu bestätigen.
Ab 1970 dokumentierte der junge Schweizer Wildbiologe Peter Meile das Sozialverhalten des Gamswildes im Jahreslauf in allen Altersklassen und in beiden Geschlechtern.
Resultat dieser Verhaltensstudien ist ein Modell, das die soziale Organisation von Gamspopulationen beschreibt und erkennen lässt, welche Rollen ein Tier im Verlaufe seines Lebens wahrnimmt und welche Bedeutung einer Geiß oder einem Bock in einem bestimmten Alter für die Population zukommt. Das Modell wurde in einer Tafel festgehalten, bis heute wurden diese Ergebnisse aus allen Teilen der Alpen weitgehend bestätigt. Die Tragfähigkeit der Lebensräume wurde durch die Aufnahme der Vegetation und in der Folge durch eine exakte Kartierung, in die auch die Abschüsse bzw. Abgänge und weitere Parameter eingearbeitet wurden, ermittelt.
Gamshege im Bächental
Ich selbst betreute ein Revier (2.250 ha) des Forschungsprojektes im Bächental 35 Jahre lang, bin Hegemeister des Hegebezirkes Bächental und berichte über meine Erfahrungen der Gamwildbewirtschaftung in diesem Gebiet.
Die Gamszählungen, die alle drei Jahre (aber besser jedes Jahr!) durchgeführt werden, sind für die jährliche Abschussplanung sowohl für das Hegegebiet als auch für das einzelne Revier unerlässlich! Gezählt werden immer dieselben Gebiete von einer revierkundigen und einer revierfremden Person, wobei zumindest einer der beiden Gamswild nach Alter und Geschlecht ansprechen können muss. Der mehrjährige Vergleich dieser Ergebnisse lässt den Trend der Populationsentwicklung erkennen.
In meinem Revier konnte ich über die ganzen Jahre (35 Jahre) im Durchschnitt eine nachhaltige Nutzungsrate von 18 % erreichen. Der Anteil an Gämsen über 10 Jahren, Klasse I lag bei über 33 %, allerdings das Fallwild mit eingerechnet! Dies erscheint mir sehr wichtig zu erwähnen, denn Abgänge, egal ob erlegt oder als Fallwild, müssen berücksichtigt werden, ansonsten haben wir keine nachhaltige Planungsgrundlage (siehe Statistik Gamsböcke).
Gestützt auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Meile und Bubenik erlegten wir Gamsböcke erst ab einem Zielalter von 10 Jahren, Gamsgeißen ab 12 Jahren! In die Klasse II nach dem Tiroler Jagdgesetz (Böcke 4–7 Jahre, Geißen 4–9 Jahre), griffen wir nur in sehr geringem Umfang ein, ca. 10 % wurden in dieser Klasse erlegt, vorwiegend kranke Gämsen.
Leider scheiterten damals unsere Bemühungen, die Altersgrenze der Klasse I in Tirol auf das FUST-Niveau zu heben, am damaligen Vorstand des Tiroler Jägerverbandes. Die Richtigkeit dieser Maßnahmen bestätigen die heutigen Bemühungen in vielen Teilen Österreichs, die Altersgrenzen anzuheben und die Gamsbestände zu sichern.
In der Klasse III erlegten wir den restlichen Gamsabschuss, nämlich etwa 57 % der Strecke. Dabei wurde auch in die Klasse der Kitze eingegriffen, indem gezielt besonders schwache Kitze entnommen wurden, welche nur mit geringer Wahrscheinlichkeit den ersten Winter überlebt hätten. So wurde der Wintereinstand entlastet und der Abschussplan erfüllt, ohne den Bestand über Gebühr zu senken. Außerdem machten Jahrlinge ca. 30 % der Strecke aus, zwei- und dreijährige Gämsen ca. 17 %. Vor allem bei den jungen Böcken im Alter von zwei und drei Jahren griff ich nur sehr vorsichtig ein (max. 10 % der Strecke).
Für den Abschuss galt grundsätzlich folgende Dringlichkeitsreihung:
- Krankes, krankheitsverdächtiges, schlecht verhärtes, untergewichtiges, kümmerndes Wild aller Klassen;
- gesundes, aber überzähliges Jungwild und für den Bestand entbehrlich gewordenes Altwild.
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Der notwendige Abschuss wurde so früh wie möglich getätigt (August–Oktober), um die Gämsen im Winter bei Schneelage (November/Dezember) nicht übermäßig zu beunruhigen und damit in eine negative Energiebilanz zu bringen. Die Jagd auf den schwarzen Gamsbock wurde nur in Ausnahmefällen durchgeführt.
Auch strenge Winter, in denen vermehrt Fallwild anfällt, sind in die Planung mit einzubeziehen, das heißt im folgenden Jahr ist der Abschuss zurückzunehmen, um die Nachhaltigkeit nicht zu gefährden (ausgefallene Stücke vermehren sich nicht!). Mein Ziel über die vielen Jahre war es, dass der Gamsbestand nie so hoch wurde (Tragfähigkeit des Lebensraumes berücksichtigen), dass es zu hohen Fallwildraten kam. In dem von mir betreuten Gebiet lag diese Dichte um die 10 St./100 ha, allerdings auf allerbestem Lebensraum.
Da auch Waldgebiete mit Jungwuchsflächen zu meinem Revier gehörten, musste auch ein gewisser Anteil an Gämsen auf diesen Flächen erlegt werden, wenn sie dort einstanden und untragbare Verbissschäden verursachten. Ich hielt mich immer im Rahmen des Abschussplanes an die freigegebenen Klassen, als überzähliges Wild wurden dort nur Kitze und Jahrlinge erlegt. Dadurch kam es in gewissem Umfang auch zu einem Vertreibungseffekt. Ich warne alle Jäger davor, nur gute Trophäenträger im Wald zu erlegen, wie leider weit verbreitet, oder falsch angesprochene Stücke oberhalb der Waldgrenze (Fehlabschüsse) als sogenannte Waldgämsen (frei nach § 52 des TJG), dorthin zu melden! Wird eine solche Bejagung nämlich über mehrere Jahre durchgeführt, wird der Gesamtbestand dadurch nachhaltig geschädigt.
Die Jagd wurde vorwiegend als Pirschjagd durchgeführt, selten wurde vom Ansitz aus gejagt (wenn dann vorwiegend auf Waldgämsen). Die jagdliche Planung lag allein in meiner Hand, mein Ziel war es vertrautes Wild zu haben, das auf den Freiflächen das ganze Jahr über sicht- und beobachtbar blieb. Aus großen Rudeln, wie sie sich bei uns vor allem im Oktober/November bildeten, wurden in der Regel kaum Stücke entnommen. Ständig hohe Präsenz und Jagddruck durch die Jäger in den Gamsgebieten führt zu scheuem Wild, das vor allem in Waldgebiete flüchtet und dort zu Schaden gehen kann!
Stark erhöhte Beunruhigung
Die touristischen Beunruhigungen wurden im Laufe der Jahre, die ich als Berufsjäger tätig bin, vervielfacht. Wurden Gamsrudel früher maximal 2–3 Mal die Woche beunruhigt, findet dieser Vorgang an schönen Wochenenden 5–10 Mal am Tage statt. Wanderer, Kletterer, Edelweiß-Sucher, Steinsucher, Tourengeher, Schneeschuhwanderer, Variantenskifahrer, Paraglider, um nur einige zu nennen, werden von Jahr zu Jahr mehr. An schönen Wochenenden wird man bei uns im Karwendel keinen Berg mit Gipfelkreuz finden, auf dem nicht mindestens ein Dutzend Leute stehen! Dieser touristische Druck auf das Gamswild wird mit Sicherheit noch steigen.
Neue Gefahren durch Düngung mit Gülle
Ungünstig auf das Gamswild wirkt sich auch die, mittlerweile großflächige, Ausbringung von Gülle auf den Almflächen aus. Dies geschieht auf manchen Almen bereits mehrmals im Jahr, mit Gülle, die auch nicht abgelagert wurde. Dass es dadurch vermehrt zu Krankheiten kommt (Salmonellen, Leberegel etc.), ergibt sich von selbst. Meiner Meinung nach ist dies eine almwirtschaftliche Fehlentwicklung, die schnellstens abgestellt gehört! (siehe dazu die Veröffentlichung des FUST-Tirol, Positionen Nr. 10: Zukunftsfähige Almwirtschaft, Almdüngung).
Zu hoher Jagddruck nach hohen Fallwildverlusten
Der Jagddruck auf das Gamswild hat, nicht zuletzt durch die immer kleiner werdenden Reviere, stark zugenommen. Die kleinen Reviere werden zu hohen Preisen verpachtet, logische Folge – wer viel zahlt – will auch entsprechend Trophäenträger ernten! Leider gehen auch immer öfter schlecht ausgebildete Jäger zur Gamspirsch, die weder ansprechen können, noch sich mit dem Populationsgeschehen dieser Wildart auskennen.
Ausfälle durch Fallwildgämsen hielten sich in meinem Revier, wie im Karwendel überhaupt, in Grenzen. Deshalb können Nutzungsraten von 15–23 % des Winterstandes entnommen werden. Allerdings dürfen diese Nutzungsraten nicht auf alle Lebensräume übertragen werden. Gamspopulationen in ungünstigen Lebensräumen und nach verlustreichen Wintern vertragen unter Umständen für eine nachhaltige Bejagung nur bis zu 5 % Entnahme aus dem Bestand (z. B. wenn die Kitzsterblichkeit zwischen 50–70 %beträgt).
Was bringt die Zukunft für das Gamswild?
Die Lenkung von Besucherströmen, vor allem im Winter, ist ein Gebot der Stunde. Die Initiative „Respektiere deine Grenzen“, oder ähnliche Projekte müssen länderübergreifend koordiniert und durchgeführt werden. Der betreffende Personenkreis muss wiederholt und direkt angesprochen werden.
Auf den Almgebieten sollte, wie vorher schon angesprochen, versucht werden die Düngung keinesfalls mit Gülle, sondern mittels gut abgelagertem Festmist auszubringen.
Wir Jäger müssen die natürlichen Bedürfnisse des Gamswildes respektieren und unsere Bejagung danach ausrichten. Nicht jedes Stück, das am Abschussplan steht, sollte unbedingt erlegt werden; geschont werden dagegen jene Tiere, die eine nachhaltige Entwicklung der Bestände gewährleisten. Dazu ist viel Fingerspitzengefühl nötig (z. B. nach strengen Wintern, oder nasskaltem Frühjahr, die natürlichen Ausfälle in die Abgänge/ Abschusspläne einrechnen). Wenn wir uns nicht an diese Regeln halten, steuern wir ungebremst auf die desorganisierten Bestände der Vergangenheit im Eilschritt zu!
„Nicht die Normzahlen der Tiroler Abschusspläne, sondern die Anzahl zugewachsener Jährlinge bestimmt die Höhe des Abschusses.“
(P. Meile, mündl. Mitt. 2015).
Die Erlegung schwach entwickelter Kitze und Jährlinge kann zur Erfüllung des Abschussplanes dienen. Nach besonders verlustreichen Jahren ist der Abschussplan zurückzunehmen. Hierüber muss sich jedes Revier und jede Hegegemeinschaft Rechenschaft geben.
Starke, gesunde Stücke müssen in der Hauptklasse überleben. Sie als Jäger haben es in der Hand, Gämsen alt werden zu lassen! Gamsjagd ist eine Angelegenheit für Profis, sie sollte nicht von Amateuren alleine ausgeübt werden! Revieregoismus muss im Sinne des Gamswildes vermieden werden. Respektieren Sie bitte die Lebensraumansprüche und die natürliche Sozialstruktur des Gamswildes, erst dann geben Sie dieser Wildart eine Chance für die Zukunft!
Zitierte Literatur:
Peter Meile & Anthony Bubenik (1979): Zur Bedeutung sozialer Auslöser für das Sozialverhalten der Gemse, Rupicapra rupicapra Linné, 1758. – Säugetierkundliche Mitteilungen 27/ 79. München.
Verfasser:
Wildmeister Pepi Stock, FUST-Projekt Achenkirch/Tirol
A-6215 Achenkirch 320, E-Mail: pepi.stock@gmx.ne