Projekt der Eurac in Bozen und der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Jagdverband und dem Amt für Jagd und Fischerei – Bericht für FUST-Tirol 

„Landschaft im Visier“

Der Mensch ist von der Natur abhängig. Sei es von der Luft, die er atmet, dem Wasser, das er benötigt, der Nahrung oder von der Landschaft, in der er wohnt und sich wohlfühlt. Diese Leistungen der Natur nennen sich in der Fachsprache Ökosystemleistungen. Die Natur und damit auch die uns umgebende Landschaft haben sich allerdings über lange Zeit entwickelt. Durch veränderte Nutzungsansprüche des Menschen befindet sich unsere Landschaft seit zwei Jahrtausende in einem stetigen Wandel. Mähwiesen, Ackerflächen oder auch Siedlungsflächen werden vom Menschen geschaffen und gefördert, manchmal aber auch wieder aufgegeben. Seit dem Mittelalter intensivierte sich die Landnutzung zunehmend. Wälder wurden gerodet, Mähwiesen und Weiden entstanden, aus kleinen Siedlungsräumen entwickelten sich Städte. Seit dem 20. Jahhundert wurde die Landschaft durch die Mechansierung und die Öffnung der Märkte zunehmend intensviert, aber nur in den Gunstlagen. Abgelegene, steile Hänge und Flächen in hohen Lagen wurden hingegen aufgelassen und bewalden sich langsam wieder. Alle diese Veränderungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Biodiversität und die damit verbundenen Ökosystemleistungen. Wir Menschen profitieren im Allgemeinen von einer Landschaft mit hoher biologischen Vielfalt und Qualität. Gerade die Jägerinnen und Jäger in Südtirol ziehen einen unmittelbaren Vorteil, wenn ihre Jagdreviere in einem möglichst guten Zustand sind und sie daher möglichst vitale, gesunde und ausreichend große Wildpopulationen vorfinden. Im dreijährigen Projekt „Landschaft im Visier“ wird nun getestet, inwieweit sich Jagdstrecken von unterschiedlichen Tierarten zur Messung und Beurteilung der Landschaft und ihrer Eignung als Habitat eigenen Wir möchten als mit diesem Projekt herausfinden, ob die Abschusszahlen der letzten 150 Jahren es ermöglichen,

  • auf die Landschaftsqualität und deren Veränderungen zu schließen,
  • Ökosystemleistungen und deren Veränderungen abzuleiten und
  • Verbesserungsvorschläge für die Gestaltung einer zukünftigen Landschaft zu erarbeiten.

Jagdwildarten als Bioindikatoren

Wir vermuten, dass Abschusszahlen der jagdbaren Wildtierarten Entwicklungen in der Landschaft widerspiegeln. Auf Habitat- bzw. Landnutzungsänderungen reagieren Wildtierarten sehr empfindlich, so vermuten wir. Sie dürften sich somit zur Interpretation der Landschaftsausstattung und vor allem auch zur Landschaftsqualität eigenen. Im Projekt wird deshalb versucht, bestimmte Wildarten mit ihren sehr eigenen Habitatansprüchen als Bioindikatoren zum Nachweis von bestimmten Veränderungen im Ökosystem und der Landschaft darzustellen. Zum Beispiel müssen für das Vorkommen des Auerhuhns (Tetrao urogallus) strukturelle Voraussetzungen (Deckung durch Nadelholzvorkommen und eine ausgeprägte Kraut- und Zwergstrauchschicht, halboffene bis offene Waldbestände) oder auch gute Nahrungsgründe mit eiweißreicher Nahrung für die Kükenaufzucht vorliegen. Eine Intensivierung in der Grünlandwirtschaft (Zunahme der Schnitthäufigkeit und Düngegabe), der Pestizideinsatz in Ackerkulturen oder die Aufgabe der Hofweiden könnte zu einer Abnahme des Rebhuhn- und Wachtelbestandes geführt haben. Eine intensivere Beweidung der Almbereiche durch Ziegen und Schafe führte wahrscheinich zu einer erhöhten Weidekonkurrenz mit dem Gams- und Steinwild und somit zu einer Abnahme dieser Arten. Das Vorkommen bestimmter Tierarten lässt zudem auf bestimmte Strukturen in der Landschaft schließen. So sind gewisse Wildarten von Deckungsmöglichkeiten wie Hecken und Randstreifen abhängig. Die Jagdstrecken verschiedener Arten (Bioindikatoren) verhelfen uns also zu einem besseren Verständnis des Einflusses der Kulturlandschaft auf die biologische Vielfalt, so unsere Hoffnung. Aus Rückschlüssen zur Landschaftsqualität lassen sich dann möglicherweise auch andere Ökosystemleistungen ableiten.

Wie wird im Projekt vorgegangen?

  1. Abschusslisten (Jagdstrecken) aller jagdbaren Wildtiere werden ab dem Jahre 1860 bis 2015 gesammelt. Ab ca. 1950 liegen diese bereits gesammelt beim Jagdverband auf. Ältere Daten müssen in den Archiven (Innsbruck, Wien) erst gefunden werden. Um die gesammelten Daten entweder zu vervollständigen oder um spezifische Besonderheiten zu klären, werden Jagdaufseher oder einzelne Jäger in den betreffenden Bezirken interviewt.
  2. Zusammenhänge zwischen den Abschusszahlen und der Landschaftsentwicklung und der Landschaftsqualität werden analysiert. Dazu wird die historische Veränderung der Nutzung, der Landbedeckung, der Strukturierung (u.a. Ausstattung mit Hecken) und der Siedlungsentwicklung der Gemeinden Prettau, Ahrntal, Sand in Taufers, Percha, Gais, Rasen-Antholz, Gsies, Vintl, Mühlbach, Vahrn, Brixen, Feldthurns, Enneberg, Wengen, Abtei, Ritten, Mölten, St. Leonhard in Passeier, St. Martin in Passeier, St. Pankraz, Ulten, Latsch, Stilfs, Glurns, Mals, Graun im Vinschgau, Leifers, Kaltern an der Weinstraße, Kurtatsch an der Weinstraße, Deutschnofen und Montan analysiert.
  3. Die Ergebnisse der vorherigen Analyse werden mit den Habitatansprüchen der jagdbaren Wildtiere verglichen und darauf aufbauend wird versucht, die Entwicklung der Jagdstrecken zu erklären. Diese Ergebnisse bilden in der Folge auch die Grundlage zur Ableitung von eigenen Indikatoren zur Beschreibung der historischen Entwicklung bestimmter Ökosystemleistungen.

Die gewonnenen Erkenntnisse sollen in weiterer Folge eine wichtige Grundlage für das Wildtier- und Jagdmanagement in Südtirol darstellen. Jagdverantwortliche und Jagdausübende können gemeinsam mit Landwirten, aber auch Raumplanern und der Verwaltung gemeinsam auf Basis dieser Daten ein nachhaltiges und ökologisches Wildmanagement erarbeiten. Darüber hinaus sollen die neu entwickelten Indikatoren in das Nachhaltigkeits-Indikatorensystem Südtirol (http://www.sustainability.bz.it/index_de.php) integriert werden.

Die Universität Innsbruck hat ihre zentralen Aufgaben in Forschung und Entwicklung sowie in Lehre und Weiterbildung und ist in 16 Fakultäten und 79 Institute gegliedert. Das Institut für Ökologie der Universität Innsbruck beschäftigt sich in seiner Forschung zentral mit den Auswirkungen von globalen Veränderungen (Landnutzungs- und Klimaänderungen) auf den Gebirgsraum. Deren Forschung umfasst verschiedene ökologische Disziplinen und Methoden (Boden- und Pflanzenwissenschaften, Hydrologie, Mikrometeorologie, ökologische und geo-statistische Modellierung) um ökologische Funktionen und Leistungen entlang flächiger und zeitlicher Skalen zu analysieren. Das Institut besteht seit mehr als 30 Jahren hat eine Reihe von internationalen und nationalen Forschungsprojekten koordiniert.
Die Europäische Akademie Bozen (EURAC) ist ein Wissenschafts- und Ausbildungszentrum in Zentrum Südtirols mit 11 Instituten und mehr als 380 Mitarbeitern. Die Hauptforschungsbereiche werden in 6 Institute aufgeteilt. Das Institut für Alpine Umwelt als führender Projektpartner, betreibt anwendungsorientierte Forschung in Berggebieten. Das Wissenschaftsteam konzentriert sich besonders auf Ökosystemforschung und Landschaftsökologie mit besonderem Fokus auf globalen Wandel und dessen Auswirkungen auf biogeochemische Kreisläufe, funktionelle Diversität, Ökosystemdienstleistungen und Nachhaltige Entwicklung. Die verschiedenen Forschungsdisziplinen werden mittels experimenteller Freilandforschung, Computersimulationen und transdisziplinären Ansätzen durchgeführt.
Abb. 2: Die zeitliche Veränderung der Mechanisierung und des Düngemitteleinsatzes als Indikatoren für die zunehmende Intensivierung in der Landwirtschaft und die Veränderung der Abschusszahlen beim Rebhuhn in Österreich. Der Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungen ist augenscheinlich, aber der Zusammenhang ist wissenschaftlich ungenügend untersucht. Das Projekt „Landschaft im Visier“ soll einen wertvollen Beitrag zur Klärung dieser Zusammenhänge liefern.
Abb. 3: Lebensraumkarte für Südtirol als Basis für die räumliche Analyse der Abschusszahlen

Infos: Dr. Erich Tasser, EURAC / FUST-Tirol