„Jagdgatter” und Aussetzen von Wildtieren zum Abschuss
Jagdgatter haben in Europa eine Geschichte von mehreren Jahrhunderten. Sie sind eingefriedete Areale (bis mehrere 1000 ha), in denen Wildarten, vor allem Schalenwildarten, in meist höherer Dichte gehalten werden, um Abschüsse zu erleichtern. Meist ist heute damit die Absicht höherer Einnahmen verbunden.
Speziell entwickelte Zucht-, Fütterungs-, Transport- und Vermarktungstechniken ermöglichen nun Manipulationen des Wildes, die den Prinzipien einer zeitgemäßen, nachhaltigen Jagd und den ethischen Grundsätzen großer Teile der Gesellschaft widersprechen. Durch mangelnde Unterscheidung zwischen nachhaltiger Jagd und anderen als „Jagd“ bezeichneten Aktivitäten wird „Die Jagd“ immer stärker ins Zwielicht gerückt. Zur klaren Unterscheidung und Abgrenzung sind zwei Prinzipien der Jagd-Nachhaltigkeit*) hilfreich:
Die Jagd orientiert sich an der Bejagung von in der freien Wildbahn selbst reproduzierenden Wildtieren und
die natürliche genetische Vielfalt der Wildarten wird durch eine entsprechende Jagdausübung erhalten und gefördert.
Aus diesen beiden Zielen ergeben sich folgende Konsequenzen:
1. Die Jagd orientiert sich an der Bejagung von in der freien Wildbahn reproduzierenden Wildtieren
Demgemäß gelten Abschüsse von Wildtieren in Gattern mit intensiven landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen grundsätzlich nicht als Jagd (unabhängig von der örtlichen Rechtslage). Sie scheiden somit aus der Nachhaltigkeitsbeurteilung von vornherein aus. Große Jagdgatter mit extensiven Produktionsbedingungen könnten sich hingegen ebenso wie Jagd außerhalb von Gattern der jagdlichen Nachhaltigkeitsbeurteilung unterziehen*). Im Interesse der gesellschaftlichen Akzeptanz und nachhaltigen Entwicklung der Jagd wird jedoch empfohlen, eine klare Abgrenzung zwischen Wildabschüssen in „freier Wildbahn“ („Jagdabschüsse“) und Abschüssen in Gattern („Gatterabschüsse“) zu ziehen, also zwei separate Tätigkeitsbereiche zu unterscheiden. „Gatterabschuss“ wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn Zäune, Mauern oder andere künstliche Sperren bestehen, die den genetischen Austausch von Wild mit benachbarten Tieren der gleichen Art ganzjährig unterbinden (dauernde Wildeinschlüsse).
Unter dem oben genannten Nachhaltigkeitsprinzip ist weiters angeführt: „Es werden keine aus Zucht und Gatterhaltung stammenden Wildtiere bejagt“. Dadurch sollen folgende Gepflogenheiten eingeschränkt werden: In manchen Jagdgebieten werden Wildtiere aus (Zucht)Gattern oder Volieren vor der Abhaltung von „Jagden“ in freier Wildbahn ausgelassen, um bereits im gleichen Jahr höhere Jagdstrecken zu erzielen. Dies gilt besonders für Fasane (so genannte „Kistlfasane“), Stockenten, Wildschweine und in manchen westeuropäischen Ländern für Rothühner. Aber auch auf Geweihträger wie den Rothirsch trifft dies zu. Teilweise werden solche Tiere vor Beginn der „Jagd“ in die Nähe von Schützenständen gebracht, um sie knapp vor oder während der Abschussaktion freizulassen. Auch „Vorbestellungen“ der Strecken-Stückzahl und beim Schalenwild auch der Stärke der Tiere vor der „Jagd“ kommen vor. Tiere, die auf diese Art ausgebracht werden und die Abschussaktionen überleben, vor allem Fasane und Rothühner, haben nur eine geringe Chance, in freier Wildbahn zu überleben.
Sowohl die Veräußerung als auch das Freilassen von Wildtieren, die aus Züchtung oder Haltung für sportliche Zwecke stammen, entsprechen nicht dem Nachhaltigkeitsprinzip der Jagd. Dies gilt jedoch nicht für die tierschutz- und artgerechte Auswilderung von Wildtieren autochthoner Arten zum Aufbau und zur Erhaltung selbst reproduzierender, langfristig überlebensfähiger Populationen (z. B. Steinwild, Raufußhühner, Braunbär) unter wissenschaftlicher Begleitung. Die Bejagung ist nach der Auswilderung für einen angemessenen Zeitraum auszusetzen und durch eine darauf folgende Bejagung darf nicht ein Großteil der ausgewilderten Tiere wieder entnommen werden. Das Ausbrüten und Aufziehen von „ausgemähten“ oder bedrohten Gelegen und das anschließende Freilassen ist von der Beurteilung ausgenommen.
Abgesehen von den begründeten Ausnahmen entsprechen somit weder die Weitergabe (Verkauf, etc.) noch die Freilassung von Wildtieren aus Gattern und Volieren zum Abschuss den Anforderungen an eine zeitgemäße, nachhaltige Jagd.
Darüber hinaus sprechen in einigen Staaten auch rechtliche Gründe dagegen: In Deutschland z.B. besteht keine befugte Jagdausübung bei Abschuss von aus Gattern stammendem Wild, wodurch strafbares Führen der Waffe mit der Rechtsfolge einer Versagung des Jagdscheines auf 5 Jahre entsteht.
2. Die natürliche genetische Vielfalt der Wildarten wird durch eine entsprechende Jagdausübung erhaltenund gefördert
Dieses Nachhaltigkeitsprinzip beinhaltet die Forderung „Autochthone Wildtierpopulationen dürfen nicht durch Einbringung nicht-autochthoner Wildtiere verfälscht werden“. „Nicht-autochthon“ sind jene Arten, die in einem bestimmten Gebiet nicht einheimisch sind oder waren (gebietsfremde oder faunenfremde Arten). Dies umfasst alle Wildarten, die nicht zum potenziellen natürlichen Wildarteninventar eines Wildlebensraumes gehören.
Insbesondere sind damit Wildtiere derjenigen Arten gemeint, die nach dem Referenzjahr 1492 (Entdeckung Amerikas) unter direkter oder indirekter Mithilfe des Menschen ins Land gelangt sind.
Die Wiederansiedlung ursprünglich heimischer Arten, die zeitweilig ausgerottet oder deren Populationen vorübergehend erloschen sind, ist damit nicht gemeint. Es geht hier um die Einbringung von nicht autochthonen Wildarten zur „Aufartung“ oder künstlichen Erhöhung der Wildarten-Vielfalt. Die Einbringung solcher Tiere ist im Interesse der Erhaltung und Förderung der natürlichen genetischen Variabilität und Entwicklung der autochthonen Wildtiere problematisch. Sie entspricht nicht den Kriterien einer nachhaltigen Jagdausübung.
Resümee
Im Hinblick auf die Einhaltung der genannten Nachhaltigkeitskriterien für die Jagd sollten
Abschüsse von Wildtieren in Gattern als Gatterabschüsse und nicht als Jagd bezeichnet werden, wodurch Gatter bei der jagdlichen Nachhaltigkeitsbeurteilung automatisch ausscheiden,
keine Veräußerung (Weitergabe, Verkauf) von Wildtieren aus Gattern oder Volieren zum Zweck des Abschusses in freier Wildbahn erfolgen,
kein Freilassen von Wildtieren aus Gattern oder Volieren zum Abschuss stattfinden, und
keine nicht-autochthonen Wildarten in die freie Wildbahn eingebracht werden.
* Prinzipien, Kriterien und Indikatoren für nachhaltige Jagd mit der Möglichkeit zur Selbstbewertung siehe im Internet unter http://www.biodiv.at/chm/jagd
Für den FUST-Tirol:
Dr. Michl EBNER, Mitglied des Europäischen Parlaments, FUST-Vorsitzender;
Prof. DI. Dr. Friedrich REIMOSER, Forschungsinstitut für Wildtierkunde & Ökologie, Vet. Med. Univ. Wien;
Prof. Dr. Dr. Sven HERZOG, Wildökologie, TU Dresden.
Fotos: FUST-Tirol
Zitierweise:
FUST-Tirol (2008): „Jagdgatter" und Aussetzung von Wildtieren zum Abschuss. – FUST-Position 7; Forschungs und Versuchsprojekt „Alpine Umweltgestaltung” des
Förderungsvereins für Umweltstudien (FUST-Tirol, Achenkirch); www.fust.at; 4 Seiten.
Gesellschaftliche Bedeutung der Jagd Grundsätze für Bewertung und Vorbeugung Naturerhaltung durch nachhaltige Nutzung
Die Jagd hat viele Kritiker: Stichworte wie Angeberei, nur Geldsache, Wildschäden, nur Trophäenjagd etc. geben zu Denken. Andererseits hat Jagd als Teil der Land- und Forstwirtschaft, als Regulator in der Kulturlandschaft und nun auch im Naturschutz als eine mögliche nachhaltige Nutzungsform der Natur eine solide gesellschaftspolitische und rechtliche Basis. Der potentielle Naturschutzbeitrag durch Jagd ist seit etwa 20 Jahren auch international untermauert. Hierzu ein Blick auf die wichtigsten Dokumente, in denen die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen als Grundlage für die Erhaltung der Biodiversität international verankert ist:
Brundtland-Report (1987): Nutzung der Natur, ohne die Nutzungsmöglichkeiten künftiger Generationen zu schmälern.
UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED 1992, Rio de Janeiro): Nachhaltige Nutzung heißt ökologische, ökonomische und soziale Gesichtspunkte berücksichtigen.
Internationale Union zur Erhaltung der Natur mit den natürlichen Hilfsquellen (IUCN); Erklärung zur Politik über die nachhaltige Nutzung wildlebender natürlicher Ressourcen (Amman, 2000): Nutzung schafft Anreiz zum Schutz!
Konvention über Biologische Vielfalt (CBD, 2000) und Agenda 21 mit Prinzipien für gesamtheitliche Lebensraumbewirtschaftung und Richtlinien für die Umsetzung verbunden mit den Addis Ababa Principles über nachhaltige Nutzung der natürlichen Vielfalt (CBD, 2004): „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen ist eine Voraussetzung für deren Erhaltung.“
Diese Dokumente waren anfangs eine klare internationale Anerkennung durch die Wissenschaft; dann ergänzt durch rechtlich bindende Regeln, welche die Ausübung der Jagd, auch der „Freizeitjagd“ mitteleuropäischer Prägung – sofern nachhaltig erfüllt – als wesentlichen Erhaltungsfaktor für die freilebende Tierwelt festlegen. Darüber können sich auch Gruppen mit dem Ziel der Abschaffung der Jagd schwer hinwegsetzen.
Seit langem befasst sich die Staatengemeinschaft intensiv mit der Frage, ob und wie die natürliche Lebensvielfalt unseres Planeten bewahrt werden kann. Auf nationaler Ebene wurden schon frühzeitig einzelne Populationen und Lebensräume regional unter Schutz gestellt. So entstanden Schutzgebiete unterschiedlicher Art und außerdem Gesetze, die die Nutzung bestimmter Tier- und Pflanzenarten untersagten. Der Verlust von Lebensräumen und Arten konnte dadurch meist nicht aufgehalten werden. Zudem gibt es immer wieder Probleme hinsichtlich der Finanzierung, der Überwachung und der Akzeptanz bei der ländlichen Bevölkerung, deren Rechte häufig beschnitten wurden. Lediglich Nutzungsverbote und die Unterschutzstellung von Arten und Lebensräumen bringen nicht den notwendigen Erfolg zur Erhaltung der Artenvielfalt.
Auf internationaler Ebene wurde dies erkannt. Alle relevanten Konventionen und Resolutionen der letzten Jahrzehnte berücksichtigen das Prinzip der nachhaltigen Nutzung. Strategien zur Erhaltung der Natur müssen auch die nachhaltige Nutzung der Naturgüter einbeziehen. Dies wird untermauert von der Erkenntnis, dass ein ernsthaftes und eigenmotiviertes Erhaltungsinteresse der Menschen an Tieren und Pflanzen dann besteht, wenn sie von deren Wert und Nutzen überzeugt sind. Im Gegenzug droht das keine Beachtung zu finden und verloren zu gehen, was nicht in Wert gesetzt werden kann. Dadurch erscheint es der regionalen Bevölkerung, maßgeblichen Interessengruppen oder sogar einer Mehrheit der Gesellschaft als nicht erhaltenswert.
Dies gilt im besonderen Maße für die Nutzung von Wildtieren – einige Antilopenarten in Afrika wären wahrscheinlich längst ausgestorben, wenn das Interesse an diesen Arten nicht durch geregelte Nutzungsmöglichkeit in Form von nachhaltiger Bejagung erhalten geblieben wäre. Oft sind Arten die einen hohen internationalen Schutz genießen deshalb besonders gefährdet, weil infolge fehlender geregelter Nutzungsmöglichkeiten wenig Interesse an ihrer Erhaltung und am Schutz ihrer Lebensräume besteht, insbesondere auch bei der lokalen Bevölkerung. Dies gilt z.B. für einige bodenbrütende Vogelarten dort, wo sie nicht bejagt werden dürfen; noch dazu kommt gleichzeitig oft eine unkritische, totale Unterschutzstellung von Beutegreifern, die ihren Untergang beschleunigen können. Dies gilt ebenso für geschützte Elefanten in Afrika oder für die Saigaantilope in Zentralasien, die, wenn sie nicht regulär und nachhaltig bejagt und damit auch geschützt sind, umso heftiger gewildert werden. Auch der Rothirsch wäre in vielen Gebieten verschwunden wenn es keine reguläre Nutzungsmöglichkeit gäbe. Viele Land- und Forstwirte würden Wildschäden ohne Nutzen nicht dulden. Oder das Auerhuhn in Österreich: wenn es nicht mehr genutzt werden dürfte, finden sich kaum Waldbesitzer, die den Wald für diese Art positiv gestalten und bewohnbar machen. Für Tierarten, die allein durch Unterschutzstellung gerettet werden – wie z.B. der Panda in China – bedarf es eines sehr großen Finanzaufwandes. Ohne regionale Nutzungsmöglichkeit von Pflanzen- und Tierpopulationen und einem damit verbundenen ökonomischen Anreiz zur Erhaltung der genutzten Ressourcen bedingt der Artenschutz also einen sehr hohen finanziellen Aufwand, wäre somit nur von reichen Nationen finanzierbar und deshalb weltweit gesehen ineffizient.
Es bleibt festzuhalten: Nachhaltige Nutzung ist das wichtigste Konzept, das auf breiter Front einen wesentlichen Beitrag zur Naturerhaltung leisten kann. Dies gilt auch für die Ausübung der Jagd. Was für manche schon immer klar war, haben anlässlich der 7. Vertragsstaatenkonferenz 192 Staaten in der Konvention für die Biologische Vielfalt (CBD) zur weltweit bindenden Leitlinie erklärt. Die Staaten haben sich nun rechtlich verpflichtet, das umzusetzen. Dadurch wurde auch die Schaffung von Prinzipien, Kriterien und Indikatoren der Nachhaltigkeit als objektive Grundlage notwendig. Die Jäger können diese nun weltweit günstige gesellschaftspolitische Situation allerdings nur dann nützen, wenn sie die Einhaltung der Nachhaltigkeitsregeln nachweisen und es überdies verstehen, diesen Mehrwert der Jagd auch im regionalen Gesellschaftskreis glaubwürdig zu leben und zu vermitteln.
Für den FUST-Tirol:
• Dr. Michl EBNER, MEP, Vorsitzender;
• Dr. Richard LAMMEL, Stellv. Vorsitzender;
• Bgm. Stefan MESSNER, Vorsitzender des Lenkungsausschusses;
• Univ.-Prof. Dr. Friedrich REIMOSER, Projektkoordinator;
• Christiane und Emil UNDERBERG, Dr. Wolfgang BURHENNE als Mitglieder.
Fotos: FUST-Tirol
Zitierweise:
FUST-Tirol (2007): Gesellschaftliche Bedeutung der Jagd. Naturerhaltung durch nachhaltige Nutzung. – FUST-Position 6; Forschungs und Versuchsprojekt „Alpine Umweltgestaltung” des Förderungsvereins für Umweltstudien (FUST-Tirol, Achenkirch); www.fust.at; 4 Seiten.
Weitere Veröffentlichungen aus den FUST-Projekten zu diesem Thema auf der Home-Page des FUST-Tirol (www.fust.at). Prinzipien, Kriterien und Indikatoren für nachhaltige Jagd mit der Möglichkeit zur Selbstbewertung unter http://www.biodiv.at/chm/jagd.
Schälschäden im Wald – Grundsätze für Bewertung und Vorbeugung Wildschäden: Prophylaxe statt Bewertungszoff?
Manche Wildtierarten nutzen die Rinde von Waldbäumen in bestimmten Situationen als zusätzliche Nahrungsquelle. Der Forstwirtschaft entstehen durch diese „Baumschälungen“ beträchtliche Schäden. Bei steigender Tendenz sind in Österreich derzeit rund 278 Millionen Bäume durch Tiere geschält, das sind 7,9% der Gesamtstammzahl des Österreichischen Waldes (Österreichische Waldinventur, Bundesamt und Forschungszentrum für Wald, Wien, 2004). Besonders betroffen sind Fichtenbestände besserer Bonität auf submontanen und montanen Waldstandorten. Aber nicht jede Baumschälung bedeutet Schaden für den Waldbestand und nicht jede Stammverletzung stammt von Wildtieren. Eine sachkundige Bewertung und eine objektive Ursachenanalyse erleichtern die Durchführung effizienter Maßnahmen zur Schadensvermeidung.
Problematik
Die Verletzungen der Baumrinde durch Tiere (Schälen am Stamm oder Wurzelanlauf) werden überwiegend durch Rotwild, in manchen Gebieten auch durch andere Wildtiere (z.B. Mufflon, Steinwild, Sikawild, Hasen, Mäuse) oder Haustiere ( Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde) verursacht. Im Rahmen der Österreichischen Waldinventur werden seit mehreren Jahrzehnten geschälte Waldbäume erhoben, wobei aber eine Zuordnung zur verursachenden Tierart nicht möglich ist. Im konkreten Schaden- bzw. Bewertungsfall spielt diese Zuordnung jedoch eine entscheidende Rolle. Die Österreichische Waldinventur erhebt neben den Schälschäden auch andere Rindenverletzungen, die auf Steinschlag oder forstliche Aktivitäten wie Durchforstung, Einzelstammnutzung oder Holzrückung zurückgehen. Eine Unschärfe in der Zuordnung solcher Rindenverletzungen ist praktisch unvermeidbar. Gemäß Waldinventur machen die forstlich verursachten Rindenverletzungen zwar etwas weniger aus als die wildbedingten Schälschäden, liegen jedoch in derselben Größenordnung der betroffenen Stammzahl.
Nach den Erfordernissen der meisten Landesjagdgesetze sind Schälschäden innerhalb eines Jahres zu reklamieren, um Entschädigungsansprüche gegenüber dem Jagdausübungsberechtigten (z.B. Jagdpächter) geltend zu machen. Dies bedeutet, dass Schadensansprüche gestellt werden müssen lange bevor die ökonomischen Folgen am Waldbestand feststellbar sind. Denn diese Folgen treten erst im Laufe von Jahren und Jahrzehnten ein. Werden geschälte oder mechanisch verletzte Bäume kurz nach der Schälung geerntet (z.B. regelmäßige Durchforstung, Lichtung), wäre der wirtschaftliche Schaden minimal. Falls die Bäume jedoch wegen der Schälung vorzeitig geerntet werden müssen, können sich Zuwachsverluste ergeben. Es ist weiters zu beachten, dass die Schadensfolgen nach Rindenverletzungen am besten an Fichte (und Rotbuche) untersucht sind und daher die meisten Analogieschlüsse auf andere Baumarten überwiegend auf Meinungen bzw. Annahmen basieren.
Folgen von Rindenverletzungen
Verwundungen der Rinde ziehen Infektionen durch Fäulepilze nach sich, egal ob es sich um Schälschäden durch Wild oder andere Ursachen handelt. Die Fäule breitet sich von der Wunde zuerst sehr rasch aus, später nimmt der Fortschritt der Fäule in der Stammachse allmählich ab. So kann innerhalb von 4 bis 10 Jahren das gesamte Erdbloch (unterster, werttragender Stammabschnitt von 4 m Länge) erfasst sein. Der langjährige Durchschnitt der Fäuleausbreitung (über etwa 3 Jahrzehnte) liegt im Mittel unterschiedlicher Wirtschaftswaldgebiete im Alpenraum bei knapp 30 cm pro Jahr. Auf diesen Erkenntnissen baut die Schälschadensrichtlinie nach BINDER auf. Allerdings spielt nach neueren Untersuchungen die Größe der Wundfläche - ab ca. 100 cm2 - keine nennenswerte Rolle bei der Bestimmung des Schädigungsgrades.
Grundsätze der Bewertung
Unterscheidung der Ursachen: Bäume, die Rindenverletzungen nicht durch Wild sondern durch andere Ursachen (Holzrückung, Steinschlag, Weidevieh etc.) aufweisen, dürfen nicht als wildbedingte Schälschäden bewertet werden.
Bäume, die bereits als geschält bewertet worden sind, dürfen bei einer weiteren Schälung in Folgejahren nicht nochmals bewertet werden, da die Fäulefolgen bereits für die Zukunft bewertet worden sind ("fauler als faul kann ein Baum nicht werden").
Bäume, die eine in den Stamm aufsteigende Wurzelfäule aufweisen, dürfen ebenfalls nicht bewertet werden. Solche nicht von Rindenverletzungen des Stammes sondern von den Wurzeln ausgehende Stammfäulen können z.B. in Fichtenbeständen, die aus Erstaufforstungen ehemals landwirtschaftlich genutzter Flächen stammen, 100% der Baume betreffen. In anderen Beständen kann man sich an den lokalen Erfahrungen orientieren und solche Fäulen entsprechend in Abzug bringen. Je nach Bestandesalter variieren diese Wurzelfäuleprozente etwa zwischen 15 und 35%, was als Anhalt für die Anschätzung dienen kann. Ansonsten können standörtlich vergleichbare Betriebsergebnisse (Holzrücklass, Faulholzsortiment, Braunbloche etc.) zur Einschätzung des Wurzelfäuleanteils herangezogen werden.
Zur Bewertung werden in der Regel die Stammzahlen je Hektar des zu bewertenden Bestandes erhoben. Liegt die Stammzahl in dichten Beständen über den Stammzahl-Leitlinien der Österreichischen Waldinventur, ist die Anzahl der zu bewertenden Schälstämme entsprechend zu reduzieren oder ein entsprechend geringerer Schadenswert je Baum anzusetzen.
In der Bewertung von Schälschäden sollen/können zusätzlich zu den Aspekten der Landeskultur die waldbaulichen und betriebswirtschaftlichen Ziele der konkreten Schadensfläche berücksichtigt werden. Die Schälschäden sind selten gleichmäßig verteilt; sie sind vor allem in jüngeren Altersklassen konzentriert und in diesen oft in bestimmten Beständen oder bestimmten Bestandesteilen. Dies soll in der Bewertung begründet und entsprechend gewürdigt werden. Die Höhe des Schadens hängt stets vom Ziel des Geschädigten (Grundbesitzer, Unterlieger von Schutzwäldern etc.) ab, und davon, inwieweit die Folgen der Schälung die Zielerreichung bzw. das öffentliche Interesse (Sicherheit) beeinträchtigen. Deshalb erleichtert eine klare Definition der Zielvorgabe (z.B. Zielbaumarten, maximal toleriertes Schälprozent pro Jahr) eine konfliktfreie Beurteilung und Bewertung von Schälschäden.
Bewertungshilfen
In Österreich werden sehr unterschiedliche Vorgangsweisen bei der Bewertung von Schälschäden durch Wild angewendet, die häufig auf überholten Annahmen basieren. Für Fichte kann die auf umfangreichem Datenmaterial basierende BINDER-Tafel (Bundesamt und Forschungszentrum für Wald, Wien) unter Berücksichtigung der oben genannten Einschränkungen vor allem im Wirtschaftswald ohne Probleme angewendet werden. Für andere Baumarten gibt es bisher keine gleichwertigen Hilfstafeln; es besteht Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Bei Fichte kann diese Tafel auch für die Bewertung von Rindenverletzungen herangezogen werden, die nicht von Wildtieren verursacht worden sind.
Schadensursachen
Die Ursachen der Wildschäden in Mitteleuropa lassen sich grob in drei Gruppen gliedern:
Zersplitterung und Beunruhigung des Lebensraumes (Verkehrswege, Siedlungsbau, Tourismus, hoher Jagddruck),
Wildschadenanfällige Wälder (fehlende Berücksichtigung des Standortfaktors Schalenwild bei der Waldbewirtschaftung).
Als primäre Ursache für das hohe Ausmaß der Schälschäden im Rotwildlebensraum der Ostalpen stellte sich in einer Analyse die hohe Schälanfälligkeit (Schäldisposition) der zahlreich vorkommenden Fichten-Monokulturen heraus (Völk, 1998). Diese dichten wintergrünen Nadelwälder bieten dem Rotwild zwar ideale Deckungsmöglichkeiten (Klimaschutz, Feindschutz), das Nahrungsangebot ist jedoch vorwiegend auf die Rinde beschränkt, die in derartigen Wäldern besonders leicht vom Stamm ablösbar ist. Bei hoher Schälanfälligkeit des Waldes können auch geringe Rotwilddichten gravierende Schäden bewirken. Deshalb sollte bei der Waldbewirtschaftung mehr Rücksicht auf die Wechselwirkung zwischen Waldstruktur, Habitatqualität für Rotwild und Risiko von Schälschäden genommen werden. Selbstverständlich kann das Problem durch jagdliche Fehler (z.B. falsche Bejagung, falsche Fütterung) oder touristische Störung und Abdrängung des Wildes in den Wald wesentlich verschärft werden.
Forstliche Maßnahmen zur Vorbeugung
Grundsätzlich sollte die Strategie verfolgt werden, den hohen nahrungsunabhängigen Besiedlungsanreiz, wie er durch den unnatürlich günstigen Feind- und Klimaschutz in Fichten-Monokulturen entsteht, zu reduzieren und gleichzeitig das natürliche Nahrungsangebot zu verbessern (vor allem im Herbst und Winter). Dies ist möglich durch eine Umstellung des Waldbaues von sekundären Fichten-Reinbeständen auf standortgemäße Mischwaldbestände (geringer Verbissdruck wichtig!), sowie in bereits vorhandenen wintergrünen Nadelholzbeständen durch eine frühzeitige Dickungspflege und Durchforstung. Falls Winterfütterung durchgeführt wird, sollte eine langfristige Vorbereitung bzw. längere Belassung größerer, nicht durch Schläge fragmentierter Baumholzkomplexe, in denen Rotwild ein bis drei Jahrzehnte ohne großes Schälrisiko im Winter gefüttert werden kann, erfolgen. Solche Konzepte werden in den FUST-Revieren (Österreichische Bundesforste AG) umgesetzt. Wichtig ist, dass die Maßnahmen großräumig geplant und mit jagdlichen sowie landschaftsplanerischen Maßnahmen räumlich und zeitlich gut koordiniert werden (Wildökologische Raumplanung). Anderenfalls kommt es meist nur zu einer Problemverschiebung, aber nicht zu einer nachhaltigen Problemlösung.
Dort, wo Rotwild in der Kulturlandschaft nachhaltig erhalten werden soll, ist eine gute integrale Wildschadensprophylaxe unter verstärkter Einbeziehung forstlicher Maßnahmen auf Dauer nicht ersetzbar. Ledigliche Symptombekämpfung (diverse Schälschutzmaßnahmen) oder Sanierungsprogramme für geschälte Wälder (Schnellwuchsbetrieb, Bestandesumwandlung etc.) sind unbefriedigend. Präventive Maßnahmen sind in der Regel auch ökonomisch wesentlich günstiger als nachträgliche Sanierungsmaßnahmen.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Schälschadensprobleme durch Rotwild nicht isoliert, sondern stets im Zusammenhang mit der Dichte der anderen im selben Gebiet vorkommenden Schalenwildarten gesehen werden sollten. Je geringer die Verbissbelastung der Waldvegetation ist und je mehr Gehölzvegetation dem Rotwild ganzjährig ohne Störung bei der Nahrungsaufnahme zur Verfügung steht, desto geringer ist in der Regel die Gefahr der Entstehung von Schälschäden. Dies trifft auch hinsichtlich Sommerschälung an Laubholz zu.
Grundsätzlich sollte die Strategie verfolgt werden, den hohen nahrungsunabhängigen Besiedlungsanreiz, wie er durch den unnatürlich günstigen Feind- und Klimaschutz in Fichten-Monokulturen entsteht, zu reduzieren und gleichzeitig das natürliche Nahrungsangebot zu verbessern (vor allem im Herbst und Winter). Dies ist möglich durch eine Umstellung des Waldbaues von sekundären Fichten-Reinbeständen auf standortgemäße Mischwaldbestände (geringer Verbissdruck wichtig!), sowie in bereits vorhandenen wintergrünen Nadelholzbeständen durch eine frühzeitige Dickungspflege und Durchforstung. Falls Winterfütterung durchgeführt wird, sollte eine langfristige Vorbereitung bzw. längere Belassung größerer, nicht durch Schläge fragmentierter Baumholzkomplexe, in denen Rotwild ein bis drei Jahrzehnte ohne großes Schälrisiko im Winter gefüttert werden kann, erfolgen. Solche Konzepte werden in den FUST-Revieren (Österreichische Bundesforste AG) umgesetzt. Wichtig ist, dass die Maßnahmen großräumig geplant und mit jagdlichen sowie landschaftsplanerischen Maßnahmen räumlich und zeitlich gut koordiniert werden (Wildökologische Raumplanung). Anderenfalls kommt es meist nur zu einer Problemverschiebung, aber nicht zu einer nachhaltigen Problemlösung.
Problematik im Kleinwald: Bei Kleinwaldbesitz sind die Voraussetzungen zur Realisierung großräumig erforderlicher Maßnahmen wesentlich ungünstiger als bei räumlich zusammenhängendem Großwaldbesitz. Kleinflächige Eigentumsstruktur und Rotwild-Kernzonen mit Überwinterungsgebieten sind deshalb meist schlecht verträglich.
Jagdliche Maßnahmen zur Schadensminderung und Vorbeugung
Eine regions- und standortbezogene Regulierung (Anpassung) des Wildbestandes unter Berücksichtigung der Biotopkapazität, vor allem des natürlichen Äsungsangebots und der Überwinterungsmöglichkeiten ist unerlässlich (Wildbestände dürfen nicht zu hoch werden; nicht jedes Gebiet eignet sich als Rotwildgebiet). Es sind aus landeskultureller Sicht nicht in jedem Gebiet gleichzeitig mehrere Wildarten als Hauptwildarten vertretbar – es müssen standortbezogene Prioritäten auf bestimmte Arten unter Zurücknahme anderer Arten gesetzt werden. Eine Koordination der forstlichen mit jagdlichen Maßnahmen ist insbesondere in folgender Hinsicht erforderlich: Durch Verlegung oder Neuerrichtung von Fütterungen lässt sich das Rotwild an weniger schadensanfällige oder -gefährdete Orte binden. Durch die Auflassung ungünstig gelegener Fütterungen (mit begleitenden Maßnahmen) können unerwünschte Wildkonzentrationen vermieden werden. In manchen Fällen genügt ein Habitatschutzgbiet (Ruhezone), damit eine Fütterung auch tagsüber vom Wild angenommen wird und dieses dadurch weniger oder nicht schält. Fütterungsfehler wie zum Beispiel Unregelmäßigkeiten bei der Futtervorlage, falsches oder verdorbenes Futter, zu wenig Entnahmestellen, Störungen bei der Fütterung, zuziehendes fremdes Wild etc. sollen vermieden werden. Eine Entlastung des Waldes ergibt sich auch bei dauerhaft frei zugänglichen Äsungsflächen außerhalb des Waldes - hier bedarf es gesellschaftlicher Rücksichtnahme durch Schaffung von Ruhezonen (auch jagdlich). Auch die Minimierung des Jagddrucks bei der Abschusserfüllung ist wesentlich (effiziente Jagdmethoden, Vermeidung wildschadensfördernder Jagdtraditionen).
Fazit
Die stets erforderliche Anpassung des Wildbestandes und der jagdlichen Maßnahmen an den aktuell vorhandenen Lebensraum ist jeweils ortsangepasst herzuleiten. Diese Forderung wird erfahrungsgemäß von jagdlicher Seite vor allem dann motiviert mitgetragen und nachhaltig zielführend, wenn klar erkenntlich ist, dass gleichzeitig die Wildschadenanfälligkeit des Waldes nicht aufgrund mangelnder forstlicher Rücksichtnahme auf die natürlichen Wechselwirkungen zwischen Waldstruktur und Schalenwild erhöht, sondern möglichst vermindert wird. Die Beachtung der unterschiedlichen Schadensursachen und der fachlichen Grundsätze für die Schälschadensbewertung trägt wesentlich zum Vertrauen und zur Konfliktminimierung zwischen Forstwirtschaft und Jagd bei, und erhöht die Bereitschaft zur Durchführung schadensmindernder Maßnahmen(-kombinationen). Neue Erkenntnisse legen nahe, den Standortsfaktor “Schalenwild”, in Rotwildgebieten zur Schälschadensvermeidung insbesondere das Rotwild, in Zukunft bei der Wahl von waldbaulichen Zielen und Maßnahmen stärker zu berücksichtigen, sowohl aus ökologischem als auch aus nachhaltig ökonomischem Blickwinkel. Die forstliche Schadensvorbeugung sollte auch beim Schalenwild selbstverständlich werden, so wie dies z.B. bei anderen Standortfaktoren wie Sturm, Schnee und Insekten üblich ist. Wenn solche Maßnahmen seitens der Forstwirtschaft aktiv gesetzt werden, dann können auch die vielerorts notwendigen Maßnahmen seitens Jagd, Tourismus etc. rascher und effizienter zur Schadensminderung beitragen.
Die Beachtung der Grundsätze zur Wildschadensbewertung trägt wesentlich zum Vertrauen zwischen Forstwirtschaft und Jagd bei und erhöht die Bereitschaft zur Durchführung zielführender Maßnahmen. Wenn Schadensvorbeugung auch von der Forstwirtschaft erfolgt, dann können Maßnahmen seitens Jagd und Tourismus rascher und effizienter zur Schadensminderung beitragen.
Für den FUST-Tirol:
Dr. Michl EBNER, MEP, Vorsitzender;
FM DI Egon FRITZ, Österreichische Bundesforste AG, Vorsitzender des fachlichen Lenkungsausschusses
Univ. Prof. DI Dr. Friedrich REIMOSER, Forschungsinstitut für Wildtierkunde & Ökologie, Projektkoordinator;
Hofrat DI Artur PERLE, Landesforstdirektion Tirol, Mitglied des Lenkungsausschusses;
Univ. Prof. DI Dr. Edwin DONAUBAUER, Univ. für Bodenkultur, Mitglied des Lenkungsausschusses.
Fotos: F. Reimoser
Zitierweise:
FUST-Tirol (2007): Schälschäden im Wald – Grundsätze für Bewertung und Vorbeugung. Wildschäden: Prophylaxe statt Bewertungszoff? – FUST-Position 5; Forschungs und Versuchsprojekt „Alpine Umweltgestaltung” des Förderungsvereins für Umweltstudien (FUST-Tirol, Achenkirch); www.fust.at; 8 Seiten.
Naturschutz durch nachhaltige Nutzung Naturschutz durch Naturnutzung – geht das?
Positive Entwicklung
Naturschutz und Naturnutzung waren im gesellschaftlichen Verständnis lange Zeit starke Gegensätze. Vor 10 Jahren war es auf offizieller internationaler Ebene neu, dass zwischen Naturschutz und Naturnutzung durch den Menschen kein grundsätzlicher Gegensatz besteht. Auch heute wird natürlich nicht jede Form der Nutzung automatisch als Beitrag zum Naturschutz anerkannt. Die Nutzung muss auf „nachhaltige“ Weise erfolgen. Der Verständniswandel wurde 1992 bei der Weltumweltkonferenz der UNO in Rio offiziell eingeleitet. Die Weltnaturschutzunion IUCN stellte im Jahr 2000 in ihrer Grundsatzerklärung von Amman in prägnanter Weise nochmals ganz klar: „Die Nutzung wildlebender Ressourcen stellt, soweit sie nachhaltig erfolgt, ein wichtiges Instrument zur Erhaltung der Natur dar, da die durch eine solche Nutzung erzielten sozialen und wirtschaftlichen Vorteile dem Menschen Anreize geben, diese zu erhalten.“ Am Weltnaturschutzgipfel 2002 in Johannesburg wurde dieses die Nutzung einschließende Naturschutzverständnis abermals bestätigt. Ebenso beim Weltkongress in Kuala Lumpur (UNEP 2004).
Jede Form der Nutzung natürlicher Ressourcen (Pflanzen, Tiere, Lebensräume) kann somit bei Wahrung der „Nachhaltigkeit“ Teil eines großen gesellschaftlichen Naturschutz- und Entwicklungskonzeptes werden. Es wurde weltweit klar, dass die langfristige Erhaltung der Biodiversität am besten durch nachhaltige Nutzung und nicht durch generellen Nutzungsverzicht gewährleistet ist. Dies trifft zum Beispiel auch auf die Nutzung von Waldpflanzen und Wildtieren durch Forstwirtschaft und Jagd zu. Diese Form der Nutzung setzt Lebensraumschutz für Pflanzen und Tiere voraus - nur in intakten Lebensräumen können vitale Populationen auf Dauer bestehen. Dafür sind aber nicht nur Forstleute und Jäger, sondern alle Interessengruppen, die im Wald und in Wildlebensräumen ihre Spuren hinterlassen, mitverantwortlich. Es erfordert also eine ganzheitliche Sicht, die bereits bei Kindern und Jugendlichen in den Familien (an speziellen Familientagen), im Kindergarten und in der Volksschule durch aktives Lernen draußen in der Natur gefördert werden muss. Dies wird als notwendige Ergänzung zur künstlichen Welt am Computer gesehen.
Nachhaltigkeit als Forderung des Menschen
Naturschutzorganisationen stellen fest, dass das Schlagwort „nachhaltige Nutzung“ teilweise zur Rechtfertigung von nicht nachhaltigen Tätigkeiten verwendet wird. Dabei taucht der Vorwurf des „Etikettenschwindels“ auf. Die Diskussionen um die Nachhaltigkeit machen deutlich, dass die konkrete Bedeutung dieses Begriffes nicht von vornherein klar ist, sondern dass im gesellschaftlichen Kontext erst definiert werden muss, was man darunter verstehen will. Es gibt kein Naturgesetz, aus dem man Nachhaltigkeit ableiten könnte. Deshalb wird nun in den verschiedenen Nutzergruppen versucht, Prinzipien, Kriterien und Indikatoren festzulegen, die den Grad der Nachhaltigkeit in ökologischer, ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht messbar machen. Dies erfolgte zum Beispiel auch für die Jagd (www.biodiv.at/chm/jagd).
Eine überwiegende Anzahl von Menschen antwortet allerdings auf die Frage, welcher der beiden Begriffe „Nachhaltigkeit“ oder „Nutzung“ denn der Natur näher stünde, spontan mit: „Die Nachhaltigkeit“. Nachhaltigkeit ist somit stärker mit „natürlich“ besetzt, Nutzung hingegen generell eher negativ mit „unnatürlich“. Dieser Irrtum dürfte die Nachwirkung einer Jahrzehnte langen sehr nutzungskritischen bis nutzungsfeindlichen Bildung sein, als verständliche aber überzogene Gegenbewegung zu einer vielerorts bedenkenlosen „Übernutzung“ von natürlichen Ressourcen durch den Menschen.
Nachhaltigkeit und letztlich auch Naturschutz sind aber keine Naturprinzipien, sondern auf den Menschen bezogene anthropozentrische Konzepte. Sie sind primär auf die absehbaren Bedürfnisse zukünftiger Menschengenerationen zugeschnitten. Nachhaltigkeit, wie sie der Mensch anstrebt, findet man im Naturgeschehen kaum. Das einzig wirklich Nachhaltige in der Natur ist ihre Veränderung. Nichts kommt so wieder wie es einmal war. Ständig gibt es neue Gewinner und neue Verlierer unter den Arten.
Zu den großen Gewinnern der letzten Jahrtausende gehört zweifellos der Mensch. Es ist verständlich, dass er und andere Gewinner aus dem Pflanzen- und Tierreich sich eine Umweltsituation längerfristig bzw. nachhaltig erhalten wollen, die ihnen den Gewinnerstatus kontinuierlich und auf Dauer ermöglicht. Dies ist im Grunde ein ständiges Arbeiten gegen natürliche Veränderungen. Bei der notwendigen Pflege von Gärten wird das zum Beispiel sehr deutlich. Eine auf überschaubarer Fläche alljährlich weitgehend gleichbleibende Nutzungsmenge und -qualität, ein erklärtes Ziel der Land- und Forstwirtschaft, also kurzfristige und kleinflächige Nachhaltigkeit, können sogar sehr unnatürlich, aber dennoch vom Menschen sehr erwünscht sein. Dies trifft auch auf die jagdliche Nutzung zu. Wildtierbestände unterliegen von Natur aus meist viel größeren räumlichen und zeitlichen Schwankungen als dem Jäger lieb ist.
Nutzung als Grundprinzip der Natur
Nutzung hingegen ist - auch ohne Einbeziehung der menschlichen Nutzung - ein ganz zentrales Grundprinzip der Natur. Ohne Nutzung könnten die natürlichen Prozesse nicht ablaufen, an denen sich auch der Naturschutz orientiert. Nutzung, sowohl in konsumtiver als auch in nicht konsumtiver Form, ist der Motor vieler dynamischer Abläufe in Naturgeschehen. Jedes Lebewesen lebt von der Nutzung und Benutzung natürlicher Ressourcen, sei es zum Schutz vor Feinden oder Klimaeinflüssen, zum Spiel, zum Nestbau und selbstverständlich zur Nahrung (Primärproduktion der Pflanzen, Nahrungsketten über Pflanzen- und Fleischfresser bis hin zu den Reduzenten, die die organische Substanz wieder abbauen). Alle Glieder der Lebensgemeinschaften, der Mensch eingeschlossen, stehen von Natur aus in ständigen Nutzungsabhängigkeiten zueinander.
Während also der Begriff „Nutzung“ eng mit der ganzen Natur verbunden ist, ist der Begriff Nachhaltigkeit auf den Menschen und seine Bedürfnisse bezogen. Beide Begriffe sind wichtig, keiner davon minderwertiger. Den Blick auf die Realität verstellende Ideologien, daraus entstehende Missverständnisse und Feindbildpflege zwischen „Schützern“ und „Nutzern“ der Natur können Probleme sicherlich nicht lösen und sollten der Vergangenheit angehören. Insbesondere bei der Ausbildung der Jugend und der sie ausbildenden Lehrer sollte dies beachtet werden. Als Voraussetzung für Lernen in der Natur braucht es geeignete land-, forst- und jagdwirtschaftliche Betriebe, in die Lehrer und Schüler eingeladen und kompetent geführt werden. Dafür sollen Natur-, Wald- und Wildpädagogen ausgebildet werden, die den „Mehrwert“ der nachhaltigen Nutzung für den Menschen und den Naturschutz gut vermitteln können, auch, dass Nachhaltigkeit eine Kultur des Teilens ist - zwischen Generationen und Interessengruppen.
Nutzung ist grundsätzlich natürlich. Wenn sie den Nachhaltigkeitskriterien entspricht, entstehen für Mensch und Lebensraum auf Dauer positive Auswirkungen und gleichzeitig wird diese Nutzung dann von der Gesellschaft als aktiver Beitrag zum Naturschutz anerkannt.
Erlebnis und Beute
Nachhaltige Nutzung wurde als wichtige Säule auch des Naturschutzes erkannt. Eine Wiederentdeckung traditioneller Konzepte? Nutzung ist grundsätzlich natürlich. Dies trifft auch auf die Jagd zu. Wenn sie den Nachhaltigkeitskriterien entspricht, entstehen für Mensch und Lebensraum auf Dauer positive Auswirkungen und gleichzeitig wird diese Nutzungsform dann von der Gesellschaft als aktiver Beitrag zum Naturschutz anerkannt.
Für den FUST-Tirol:
Landtagsvizepräsident Anton STEIXNER, Vorsitzender;
Univ. Prof. DI Dr. Edwin DONAUBAUER, Univ. für Bodenkultur, Mitglied des Lenkungsausschusses.
Univ. Prof. DI Dr. Friedrich REIMOSER, Forsch.-Inst. f. Wildtierkunde u. Ökologie d. Veterinärmed. Univ. Wien, Projektkoordinator.
Fotos: F. Reimoser
Zitierweise:
FUST-Tirol (2004): Naturschutz durch nachhaltige Nutzung. Naturschutz durch Naturnutzung – geht das? – FUST-Position 4; Forschungs und Versuchsprojekt „Alpine Umweltgestaltung” des Förderungsvereins für Umweltstudien (FUST-Tirol, Achenkirch); www.fust.at; 5 Seiten.
Kooperation Forst-Jagd Wald und Wild – Harmonie oder Gegensatz?
Forst und Jagd – Kooperation oder Konkurrenz?
Die von Forstseite als mangelhaft kritisierte Wildbestandesregulierung durch die Jäger sowie die von Jagdseite als wenig objektiv gesehenen Toleranzgrenzen bei der Beurteilung von Wildschäden werden oft heftig diskutiert. Einseitige Schuldzuweisungen verhindern den Blick auf kooperativen Lösungen. Bestehende „Wald-Wild-Probleme“ sind in ihrer Wurzel ein „Mensch-Mensch-Problem“. In einer verbesserten Kooperation zwischen Forstwirtschaft und Jagd besteht ein großes, bisher zu wenig genutztes Potenzial zur Problemlösung. Dies setzt ein erweitertes Selbstverständnis von Forst und Jagd voraus.
Ausgangslage
Aus ökosystemarem Blickwinkel gehören zum Wald nicht nur Bäume, sondern gleichermaßen Pflanzen und Tiere. Forstleute und Jäger beeinflussen einander durch ihre Aktivitäten in diesem Ökosystem, ohne sich dabei ihrer Auswirkungen auf den jeweils Anderen immer bewußt zu sein. Bei der Lösung von forstlichen und jagdlichen Problemen sind beide Seiten aber maßgeblich voneinander abhängig. Dies betrifft vor allem die Vermeidung von Verbiß- und Schälschäden an der Waldvegetation, die Gestaltung der Habitatqualität von Wildtieren und die Bejagbarkeit des Wildes. Besondere Berührungspunkte ergeben sich bei den sogenannten forstlichen Problemarten wie Hirsch, Reh und Gams, aber auch bei den Waldhühnern, die in ihrem Vorkommen stark von forstlichen Maßnahmen abhängen.
Vor allem die von Forstseite als mangelhaft kritisierte Wildbestandesregulierung und jagdmethodische Unflexibilität der Jäger sowie die von Jagdseite oft als wenig objektiv gesehenen Toleranzgrenzen bei der Beurteilung von Wildschäden und die hohe Wildschadenanfälligkeit des Waldes aufgrund forstlicher Maßnahmen sind Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Einseitige Schuldzuweisungen und Feindbildpflege verstellen oft den Blick auf mögliche kooperative Lösungen.
Eine wesentliche Wurzel dieses Spannungsfeldes liegt im mangelnden Verständnis der komplexen Problemzusammenhänge und im oft schwachen Vertrauen zur „Gegenseite“. Weiters besteht eine grundsätzliche „Konkurrenz“ um Waldbäume, die einerseits für die Sicherung der Holzproduktion sowie der Schutz- Wohlfahrts- und Erholungswirkung des Waldes erforderlich sind, andererseits aber auch als natürliche Nahrung der großen Pflanzenfresser dienen, deren Bestandeshöhe den Jagdwert meist entscheidend mitbestimmt. Selbst Grundeigentümer, die sowohl forstliche als auch jagdliche Ziele und Maßnahmen aus einer Hand steuern können, haben nicht selten Schwierigkeiten, aus diesem Zielkonflikt heraus zu harmonischen Lösungen zu kommen, insbesondere in Gebieten, die nur wenig Ertrag aus der Holzproduktion ermöglichen.
Wichtige Zusammenhänge beachten
Der Vergleich zahlreicher Fallstudien zeigt sehr unterschiedliche Auswirkungen des Schalenwildes auf die Waldverjüngungsdynamik. Je nach Waldgesellschaft (Baumartenzusammensetzung, Verjüngungspotenzial, Bodengüte), forstlicher Waldbehandlung und je nach Wildart, -dichte und -verteilung ergeben sich unterschiedliche Auswirkungen der Wildtiere auf die Waldstruktur. Umgekehrt wirkt sich die Waldstruktur auf die Wildtiere aus. Die Tiere können Schäden bewirken und andererseits selbst in Mangelsituationen geraten. Auch positive Einwirkungen der Wildtiere auf die Waldvegetation konnten unter günstigen Voraussetzungen nachgewiesen werden.
Außer von der Wilddichte hängen die Auswirkungen des Schalenwildes (Verbiss, Fegen, Schälen, Tritteinwirkung auf Boden und Pflanzen, Nährstoffumverteilung - Kot) entscheidend von den standörtlichen Voraussetzungen, der Struktur des Altbestandes, den waldbaulichen Maßnahmen und dem Verjüngungsziel ab. Die Beachtung dieser Zusammenhänge ist die Voraussetzung für eine effizientere Berücksichtigung des Standortfaktors Schalenwild bei der Planung waldbaulicher und jagdlicher Maßnahmen. Die Frage der Habitatgestaltung erlangt auch durch die vielerorts einsetzende Umwandlung von wind-, schnee- oder insektengeschädigten Sekundärwäldern in naturnähere Waldformen aktuelle Bedeutung, weil sich während des Waldumbaues die Verbissschadensproblematik meist stark verschärft. Das Problemfeld ist über die forstliche und jagdliche Relevanz hinaus auch von großem Interesse für den Natur- und Umweltschutz.
Ziele und Maßnahmen besser abstimmen
Statt konkurrierender Ziele zwischen Forstwirtschaft und Jagd, die zwangsläufig Probleme schaffen, sollten im Zuge einer verbesserten Kooperation und einer ganzheitlicheren Sicht harmonische Ziele entwickelt werden, die Synergismen zwischen den Interessengruppen ermöglichen. Diesbezüglich besteht ein großes, bisher ungenutztes Potenzial. Durch Zielharmonisierung kann auch den forst- und jagdgesetzlichen Bestimmungen sowie den internationalen Konventionen (Alpenkonvention, Nachhaltigkeitskriterien etc.) besser Rechnung getragen werden. Die Voraussetzungen für diese Harmonisierung müssen in drei Bereichen geschaffen werden: (i) Sozio-Kultur: Schaffung von Verständnis und Vertrauen, Abbau problemverschärfender Traditionen; (ii) Ökologie: Steuerung der Habitatqualität, Minderung der Wildschadenanfälligkeit des Waldes, effiziente Bejagungsmethoden etc.; und (iii) Ökonomie: Verbesserung finanzieller Werte, Vermeidung von Wertverlusten, Gesamtrechnung Forst-Jagd etc.
Kooperation als Voraussetzung für Lösungen
Als Kooperationsebenen zwischen Forst- und Jagdseite sind in räumlicher Hinsicht Revier, Betrieb, Hegegemeinschaft, Land und Bund möglich, wobei eventuelle kompetenzrechtliche Probleme abgebaut werden sollten. Im Hinblick auf die Akteure sind es die Ebenen Jagdausübungsberechtigte – Grundeigentümer oder/und Jägerschaft – Forstbehörde.
Kooperation kann einerseits durch Unterlassungen (Rücksichtnahmen) und andererseits durch aktive Maßnahmen von beiden Seiten erfolgen. Wichtig ist dabei vor allem die Festlegung und räumlich-zeitliche Abstimmung von Zielen (klare Ziele, Offenheit, Prioritätensetzung), weiters die inhaltliche, räumliche und zeitliche Abstimmung von Maßnahmen in den Bereichen Waldbau, Erschießung, Jagdstrategie und Fütterung, sowie der Blick auf eine gemeinsame Nachhaltigkeit („Gesamtnachhaltigkeit“ entsprechend UNO-Summit 2002 in Johannesburg). Auch die Abstimmung der örtlich zu erfüllenden Aufgaben mit der Qualifikation der Akteure (z. B. Pächter) und dem Pachtpreis (Akzeptanz beider Seiten; Jäger als Partner/Kunde) können für den Erfolg entscheidend sein.
Der „Organisation“ der Kooperation (regional; politisch) kommt wesentliche Bedeutung zu. Wichtig sind eine entsprechende Kommunikationsstruktur (Kommunikationseinrichtungen), Schulung (Aus- und Weiterbildung), Kooperation nach innen (im Bereich Forst – Jagd), Kooperation gegenüber Dritten (z. B. Tourismus, Naturschutz), sowie Öffentlichkeitsarbeit.
Mögliche Kooperationsinhalte
Wenn es z. B. um die Vermeidung von Wildschäden am Wald bei möglichst geringer Beeinträchtigung des Jagdwertes geht, sollte von jagdlicher Seite die Arealabgrenzung für die einzelnen Wildarten, Abschußhöhe, Jagdtechnik, jahreszeitliche Abschußverteilung (Intervalljagd etc.) und räumliche Abschußverteilung (Schwerpunktbejagung etc.) mit forstlichen Anliegen koordiniert werden. Ebenso sollten Ort und Art der Wildfütterung, jagdliche Biotopverbesserung (Wildwiesen, Wildäcker, Verbißflächen etc.), Ruhegebiete, sowie die Einteilung der Jagdgebiete (Grenzziehung, den Aufgaben entsprechende Personalzuteilung etc.) abgestimmt werden.
Von forstlicher Seite sollte grundsätzlich die Strategie verfolgt werden, den hohen nahrungsunabhängigen Besiedlungsanreiz, wie er durch den unnatürlich günstigen Feind- und Klimaschutz in standortwidrigen Fichten-Monokulturen entsteht, zu reduzieren und gleichzeitig das natürliche Nahrungsangebot zu verbessern (vor allem im Herbst und Winter). Dies erfordert eine Umstellung des Waldbaues von sekundären Fichten-Reinbeständen auf standortgemäße Mischwaldbestände, sowie in bereits vorhandenen wintergrünen Nadelholzbeständen eine frühzeitige Dickungspflege und Durchforstung. Folgende waldbauliche Maßnahmen können das Risiko von Wildschäden maßgeblich vermindern:
Auflockerung des Kronendaches dichter Waldbestände ab dem Dickungsstadium (weniger Klima- und Feindschutz, mehr Nahrungsangebot, früherzeitig gröbere, weniger schäl-attraktive Borke).
Förderung von Mischwald anstelle von künstlichen wintergrünen Reinbeständen (weniger Klimaschutz, mehr Nahrung durch Blattfall im Herbst, Mastjahre etc.)
Statt Aufforstung Förderung der natürlichen Waldverjüngung (größerflächig natürliches „Überschußangebot“ an Jungbäumen, das ohne Schadensfolgen vom Wild genutzt werden kann).
Möglichst Belassung oder Förderung von Sträuchern und Verbissbaumarten („Ablenkäsung“).
Vermeidung optisch auffälliger Waldbestandesgrenzen, wie sie vor allem durch kahlschlagbedingte Steilränder entstehen (weniger Besiedlungsanreiz für Schalenwild – geringere Wilddichten).
Langfristige Vorbereitung bzw. längere Belassung größerer, nicht durch Schläge fragmentierter Baumholzkomplexe, in denen Rotwild ohne großes Schäl- und Verbißschadensrisiko im Winter gefüttert werden kann (falls Winterfütterung erforderlich ist).
Diese Maßnahmen lassen sich am besten und ökonomisch zweckmäßigsten in einem kahlschlagfreien oder zumindest kahlschlagarmen Naturverjüngungsbetrieb realisieren. Für günstige Bejagungsmöglichkeiten sollte gesorgt werden (Schußschneisen an jagdstrategisch günstigen Standorten etc.). Entscheidend ist dabei, daß die Maßnahmen großräumig erfolgen und mit jagdlichen sowie landschaftsplanerischen Maßnahmen räumlich und zeitlich gut koordiniert werden (Wildökologische Raumplanung). Anderenfalls kommt es meist nur zu einer Problemverschiebung, aber nicht zu einer nachhaltigen Problemlösung. Es gilt also, für das Wild ausreichend große zusammenhängende Lebensräume mit geringer Wildschadenanfälligkeit in der Kulturlandschaft zu erhalten und wiederherzustellen, wo auch Schalenwild möglichst schadensfrei integriert bzw. wo es ohne großes Wildschadensrisiko über den Winter gebracht werden kann.
Wo Schalenwild in der Kulturlandschaft nachhaltig erhalten werden soll, ist eine gute integrale Wildschadensprophylaxe unter verstärkter Einbeziehung forstlicher Maßnahmen auf Dauer nicht ersetzbar. Ledigliche Symptombekämpfung (diverse Schutzmaßnahmen) oder Sanierungsprogramme für geschädigte Wälder (Schnellwuchsbetrieb, Bestandesumwandlung etc.) sind unbefriedigend. Präventive Maßnahmen sind in der Regel auch ökonomisch wesentlich günstiger als nachträgliche Sanierungsmaßnahmen.
Im übergeordneten, gesellschaftlichen Interesse geht es insbesondere um die Berücksichtigung folgender Fragen: Wie können konkurrierende Ziele der Landschaftsnutzung harmonisiert und Wildtiere in die Kulturlandschaft integriert werden, ohne dass es zu untragbaren Wildschäden kommt? Wie kann eine nachhaltige Nutzung von Wildtierpopulationen gewährleistet werden? Wie können Maßnahmen in Schutzgebieten (Nationalparke, Natura 2000, Schutzwaldsanierungsgebiete etc.) mit den Maßnahmen im wildökologisch relevantem Umfeld außerhalb dieser Gebiete zweckmäßig abgestimmt werden? Wie können durch den Menschen isolierte Wildtierpopulationen wieder vernetzt werden? Als Abstimmungsinstrument bietet sich die Wildökologische Raumplanung an.
Objektive Erfolgskontrolle schafft Akzeptanz
Der Festlegung klarer und objektiv überprüfbarer forstlicher und jagdlicher Ziele und der Einhaltung von Belastungsgrenzen (z. B. Verbiss- und Schälbelastungen an der Vegetation, Wildstandsreduzierung, Bejagungsformen) kommt wesentliche Bedeutung zu. Objektive Monitoringsysteme (z. B. Kontrollzäune, Abschußkontrolle), die einen eindeutigen SOLL-IST-Vergleich ermöglichen, sind Voraussetzung für eine objektive Erfolgskontrolle und die Akzeptanz der Maßnahmen.
Positive Beispiele
Beispiele für die aktive Berücksichtigung von Wildtieren und deren Bejagung sind zwar noch nicht zahlreich vorhanden, können aber bereits in allen Ländern gefunden werden. Von manchen Forstbetrieben wurden zum Beispiel aufbauend auf die Wirtschaftsplandaten Biotopeignungskarten für Schalenwildarten oder/und Rauhfußhühner erstellt. Die Überwachung der Habitatqualität dient den Betrieben als Grundlage für die Entwicklungsprognose über die Verbreitung der Arten und die Entstehung von Flächen mit erhöhter Wildschadenanfälligkeit, sowie für die Ableitung präventiver und kurativer Maßnahmen zur Habitatgestaltung und Wildschadensvermeidung. Erforderliche Parameter für die Habitatbeurteilung werden meist im Zuge der Wirtschaftsplanerstellung miterhoben. Dadurch sind ein regelmäßiges Monitoring, Erfolgskontrolle und eine ständige adaptive Maßnahmenoptimierung möglich.
Fazit
In einer verbesserten Kooperation zwischen Forstwirtschaft und Jagd besteht ein großes, bisher zu wenig genutztes Potenzial zur Lösung von „Wald-Wild-Problemen“. Dies setzt ein erweitertes Selbstverständnis von Forst und Jagd voraus. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse erscheint es sowohl aus ökologischem als auch aus ökonomischem Blickwinkel notwendig, den Standortfaktor „Wild“, insbesonders das Schalenwild, in Zukunft bei forstlichen Zielen und der Auswahl von waldbaulichen Maßnahmen wesentlich stärker zu berücksichtigen. Für die Lebensräume der großen Pflanzenfresser sollte die Wildschadensprophylaxe schon allein im Eigeninteresse der Forstwirtschaft ebenso selbstverständlich werden wie z. B. die forstliche Prävention hinsichtlich der Standortfaktoren Wind, Schnee und Insekten. Wenn sich die Forstwirtschaft ihrer bisher unterschätzten Rolle als Mitverursacher von Wildschäden stärker bewußt wird und aktiv schadensmindernde Maßnahmen setzt, dann werden auch die vielerorts zusätzlich notwendigen Maßnahmen seitens Jagd, Tourismus etc. rascher und effizienter zum Erfolg beitragen können. Von jagdlicher Seite kommt einer räumlich und zeitlich wesentlich flexibleren Abschußdurchführung und zweckmäßigeren Hegemaßnahmen, beides mit verstärkter Abstimmung auf forstliche Erfordernisse, eine entscheidende Bedeutung zu. Im Interesse der Lösung bestehender „Wald-Wild-Probleme“, die in ihrer Wurzel ein „Mensch-Mensch-Problem“ sind, sollte es statt Lippenbekenntnissen zu einer stärkeren aktiven Zusammenarbeit von Forstwirtschaft und Jagd kommen, mit effizienten Problemlösungsbeiträgen von beiden Seiten. Grundlage dafür müssen eine entsprechend umfassende Aus- und Weiterbildung von Jägern und Forstleuten sowie die Schaffung geeigneter Kooperationsplattformen auf verschiedenen Ebenen (Betriebe, Interessenvertretungen, Behörde) sein. In einer integralen wildökologischen Raumplanung kann die Abstimmung der Maßnahmen systematisch erfolgen. Waldwirtschaftspläne sollten in Hinkunft auch Grundzüge der forstlichen Wildschadensvorbeugung mit berücksichtigen.
In der besseren räumlichen und zeitlichen Abstimmung von forstlichen und jagdlichen Zielen und Maßnahmen liegt ein großes, ungenutztes Erfolgspotential für die Lösung von „Wald-Wild-Problemen“. Dies setzt ein erweitertes Selbstverständnis von Forst und Jagd voraus.
Für den FUST-Tirol:
Landtagsvizepräsident Anton STEIXNER, Vorsitzender;
Univ. Prof. DI Dr. Edwin DONAUBAUER, Vorsitzender des Fachlichen Lenkungsausschusses.
Univ. Prof. DI Dr. Friedrich REIMOSER, Forsch.-Inst. f. Wildtierkunde u. Ökologie d. Veterinärmed. Univ. Wien, Projektkoordinator.
Fotos: F. Reimoser
Zitierweise:
FUST-Tirol (2003): Kooperation Forst – Wald und Wild – Harmonie oder Gegensatz? – FUST-Position 3; Forschungs- und Versuchsprojekt „Alpine Umweltgestaltung” des Förderungsvereins für Umweltstudien (FUST-Tirol, Achenkirch); www.fust.at; 7 Seiten.
G. Koch (1986): Waldweidebelastung und Abhilfe. – Allgemeine Forst. Zeitschrift 38: 938-939.
Es handelt sich um eine kurze, aber informative Zusammenfassung des Artikels von H. Loher: “Waldweidebelastungen – Folgen und Bereinigungsmöglichkeiten” in Band A 98 – Facharbeitstagung FUST-Tirol – in der Reihe “Beiträge zur Umweltgestaltung” (Erich Schmidt Verlag, München) – siehe unter “FUST-Publikationen: Arbeitkreis A (1986)”
Inhalt
Weidebelastung, Folgen der Waldweide, Ausmaß der Weideschäden, Weiderechtsbereinigung (Ablöse in Geld / Trennung von Wald und Weide / Verlegung von Weiderechten auf geeignete landwirtschaftliche Nutzflächen); 6 Farbfotos.